Der „moralische Triathlon“: 2te Etappe
RSS Icon Home-Icon
  • 29.05. Kahl – Hanau (18,5km) Main

    Geschrieben am 5. Juli 2009 admin Keine Kommentare

    Bis zu acht Stunden schwimmen, Anfahrt von drei/vier Stunden, Auf- und Abbau, Soundcheck, Konzerte: es ist für Heinz schwierig, bei einem solchen straffen Zeitplan noch Zeit für das Tagebuch zu finden. Wir bitten um Geduld: die Berichte folgen so schnell wie möglich!!

    Flussprojekt: Augsburg


    Daß es so schwer werden würde – wer hätte das gedacht? Bei strahlendstem Sonnenschein brechen wir in Augsburg auf – um gleich in einen Stau hineinzubrettern. So erreichen wir die Kahl-Mündung erst gegen 12 Uhr. Aufgrund eines cholerischen Campingplatzwarts ist es auch schwierig, das Kanu ins Wasser zu lassen – irgendwann ignorieren wir den rotköpfigen Brüllaffen einfach und hinein in die Fluten – na ja, Fluten… der arme Main! Und wir armen Mainwanderer! Nicht nur, daß in Sachen Strömung ein großes Fragezeichen zu setzen ist – es herrscht sogar eine kräftige Gegenströmung, weil ein starker Wind die Flussoberfläche in die entgegengesetzte Richtung drückt. Mein Schwimmen und das Mitpaddeln von Maria, Jana und Linn gestaltet sich als äußerst mühsam. Mir schlagen ständig kleine Wellen ins Gesicht, so daß ich den Oberkörper ungewöhnlich hoch aus dem Wasser heben muß, um mich beim Kraulen nicht zu verschlucken und die Gegenströmung tut ihr übriges: wir kommen kaum voran. Nach einigen erschöpfenden Kilometern sehen wir den Staudinger – ein Kraftwerk von beeindruckender Hässlichkeit, Zielpunkt aller örtlichen Umweltschutzbemühungen, eine Beton gewordene Gleichgültigkeit, Wirtschaftsstandort, Mainwassererhitzer, Punkt und fertig – was hätten Blumenwiesen, Eisvögel und Forellen schon für eine Chance gegen dieses lieblos Zivilisationsornament – und wenn es nur Ornament wäre – aber es ist ja leider nicht nur auf seine Hässlichkeit beschränkt. Immerhin: wenn ich tapfer weiterschwimme, wird auch dieses Monstrum am Horizont verschwinden! Als wollte es mich ärgern, zeigt uns das Schicksal die nächste Abscheulichkeit: drei angelnde Neonazis am Ufer. Daß da ein Hippiekanu mit drei hübschen Ladys und ein durchs Wasser preschender Vermummter vorbeiziehen, übersteigt freilich ihr Auffassungsvermögen. Sie gucken dümmer, als die Fische, die sie fangen wollen.
    Ich stelle fest: der Main ist nicht gerade sauber. Er riecht abwechselnd nach Öl, Klärwerk, Faulgasen. Ich stelle außerdem fest: wir liegen schon knappe zwei Stunden hinter unserem Zeitplan zurück. Ein paar hundert Meter Kanuschleppen, um die große Schleuse herum, zwei Liter Wasser trinken, 4 Tonnen Traubenzucker essen – und weiter geht’s! Wenn ich überhaupt noch eine Chance haben will, pünktlich anzukommen, müssen die eingeplanten Pausen gestrichen werden. Ich schwimme und überlege, wie dieses Industriegewässer wohl mal ausgesehen hat, ich stelle mir ein lustiges Bauernmädchen vor, das aus den dichten Büschen steigt, sich schelmisch den Rock glättet – wir schreiben das Jahr 1809! – und langsam davonläuft – während der dazugehörige Bursche noch dem glucksenden Lachen der Mainwellen lauscht, im Gebüsch wartend, damit die Moral sie nicht beide gleichzeitig erwischt. Ich sehe ihn mir näher an, seltsamer Zufall: er sieht aus wie ich… Das Tuten eines Dampfers und Linns aufgeregtes Winken reißt mich aus allen Träumen. Ach ja, richtig: Main ist nicht mehr, was Main mal war! Sonst wär ich auch sicher schon in Hanau – es ist jetzt 17 Uhr und ich kraule nun schon seid 5 Stunden hier herum. Das Mitpaddeln scheint auch anstrengend: die drei Damen versuchen mich zu überreden, die Schwimmtour abzubrechen – wir wären ja ohnehin hoffnungslos verspätet. Sie haben natürlich recht und sind vernünftig, aber wie immer in solchen Fällen springt mein Dickkopf an und sagt: Nö! – Ich schwimme weiter! Zur Not auch allein, wird schon klappen… Maria und Jana steigen aus, um die Autos zu holen und schon mal für den Soundcheck aufzubauen, und als ich Linn wegen der zu erwartenden Strapazen auffordere, mit den anderen mitzugehen, lacht sie nur und zwinkert mir zu: ich bin eine norddeutsche Lady – mir macht doch so ein bisschen Wind nichts aus!

    Flussprojekt: Hanau

    Beeindruckt von ihrer Energie, kraule ich weiter. Die Arme beschweren sich schon – plötzlich gesellt sich ein Profipaddler dazu und ich werde von zwei Booten eskortiert – schwimme am Hanauer Ölhafen vorbei – lecker! – schwimme und schwimme und träume nun nicht mehr von meiner Lanita in Bauerngewändern 1809, sondern von einem hundertarmigen Schwimmroboter, auf dessen Rücken ich unauffällig sitze. Wie auch immer: der Gegenwind lässt nicht nach, das Tempo nimmt nicht zu: ich erreiche das Olof Palme Haus gegen 20 Uhr 30 – nach 8,5 Stunden Schwimmen. Ich werde mit Trommelwirbel und Applaus begrüßt, schlüpfe rasch unter die Dusche, dann spielen Maria und ich in sehr seltener Besetzung: Percussion, Xylophon, Bass – Reverend Schulz ist unser Gast am heutigen Abend – und der Spendentopf bei knappen 70 Zuschauern ist mit 378.- Euro gut gefüllt.
    Ein spezieller Dank an das Matrax-Team, das die Organisation und die Saalmiete übernahm!